Klar zum Gefecht
Wanzen, Schaben, Ratten – auch in der kalten Jahreszeit gibt es viel zu tun für den Pirnaer Kammerjäger Silvio Korn.
Sächsische Schweiz. Sie kommen als blinde Passagiere in der Reisetasche oder durch dunkle Kanäle, Rohrdurchlässe, Kabelschächte, Abluftröhren. Sie warten hinter Sockelleisten, losen Tapeten und unter der Küchenspüle. Wenn es Nacht wird, gehen sie auf Beutezug. Sie bleiben unsichtbar und vermehren sich. Doch irgendwann knipst ein schlafloser Bewohner die Lampe an und sieht seine ungebetenen Gäste, wie sie eilends in die Verstecke krauchen: Schaben!
Der Pirnaer Silvio Korn kennt das Problem zur Genüge, denn er wird gerufen, es zu lösen. Der stabil gebaute Bursche ist kammergeprüfter Schädlingsbekämpfer. Fünf bis zehn Prozent der Einsätze entfallen auf die Kakerlaken. Befall gibt es ganzjährig, nicht nur in liederlichen Behausungen. Auch klinisch saubere Wohnungen sind betroffen. Soeben bahnt sich ein neuer Fall an, diesmal in Striesen, Dresdens Goldstaubviertel. Auf Korns Bürotisch liegt die probeweise ausgelegte Falle. Auf dem Pappstreifen kleben Schaben jeder Größe. Sogar ein Paket mit Eiern ist dabei. In wenigen Tagen wären mehr als dreißig neue Schaben daraus hervorgekrabbelt.
Landläufig besehen sind Kammerjäger noch immer die Männer mit der chemischen Keule. Doch das Klischee führt in die Irre. „Einfach mal die Bude ausgasen – das gibt’s nicht mehr“, sagt Silvio Korn. Der Job, seit 2004 ein regulärer Ausbildungsberuf, ist hoch spezialisiert, vereint Fachwissen in Chemie, Biologie, Zoologie und Toxikologie. Gifte werden wohldosiert und abgestimmt auf den Schädling eingesetzt. Die Striesener Schaben zum Beispiel kriegen entlang ihrer Laufwege Insektizid in Gel-Form vorgesetzt, die Portion nicht größer als ein Stecknadelkopf. Die toten Kakerlaken werden von den lebenden verspeist. So verenden auch diese. Wenn es gut läuft, ist der Spuk in vier Wochen vorbei.
Heute aber geht es nicht um Schaben, es geht um Ratten. Die Sippe lebt neben den Müllcontainern in einer Dresdner Plattenbausiedlung. Giftköder sind schon ausgelegt. Jetzt will Silvio Korn wissen, wie die Sache steht. Rattenabwehr ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel, sagt er. „Wir können sie nicht besiegen.“ Auch weil sie von uns gefüttert werden, etwa mit Sonnenblumenkernen am Vogelhäuschen oder mit Essensresten im Lokus. Die Horrorgeschichte von der Ratte aus dem Klo hat Herr Korn wirklich erlebt, eben weil es dort Fressbares gab. „Aus Spaß klettert so ein Tier nicht in den dritten Stock.“
Raus aus dem Kontor, die Treppe runter, in den Hof, wo der Wagen wartet. Als Schädlingsbekämpfer kann man viel Zeit am Schreibtisch verbringen, sagt Silvio Korn. Die Vorschriften und Maßnahmekataloge sind uferlos. Doch er muss raus, muss an die Front, wie er sagt. Er liebt die Abwechslung, liebt es, neue Leute und neue Orte kennenzulernen. Jeder Kunde ist anders, jede Wohnung ist anders, und auch die Tiere, mit denen er es zu tun hat, bereiten ihm manche Überraschung. „Für Ratten gibt es keine Norm.“
Im Vorbeigehen krault der Kammerjäger seinen ausgestopften Marder. Auch so ein Dauerkunde. Ein kleines Loch, vier, fünf Quadratzentimeter, reicht ihm, um einen Dachboden zu entern. Dort demoliert er die Isolation und verbreitet beißenden Gestank durch Kot und Urin. Dazu kommen die Reste seiner Mahlzeiten. „Wir haben da schon tote Tauben noch und nöcher rausgeholt“, erzählt Silvio Korn. Schnell ist der Schaden fünfstellig, wird der Räuber nicht vergrault. Das machen die Schädlingsbekämpfer mit speziellen Geruchsstoffen. Sie nennen es „Sauna-Aufguss“. Ist der Marder weg, wird sein Schlupfloch abgedichtet, aber ordentlich. Marder sind kräftige Beißer. Dünne Baumarktbrettchen sind für sie kein Hindernis.
Der sandfarbene Mercedes sieht aus wie jeder andere. Keine Plaste-Kakerlake auf dem Dach wie in Amerika. Hierzulande agiert die Branche möglichst unauffällig. „Wir sind ein diskretes Gewerbe“, sagt Korn. Wenn er Gasthäuser nach Ungeziefer durchforscht oder in Hotels Bettwanzen jagt, versucht er, wie ein normaler Handwerker auszusehen, nutzt blickdichte Verpackungen für die Ausrüstung. Freilich, seine Dienste sind geschätzt. Doch wiedersehen möchte ihn nach Möglichkeit niemand. Das stört ihn aber nicht. „Ich bin und bleibe Kammerjäger“, sagt Herr Korn. „Ich kann mir nichts Besseres vorstellen.“
Im Heck das Material. Nicht aufregender als bei der Putzkolonne: Eimer, Kisten, Flaschen, Sprühdosen. Wozu der Seilzug? Gestern haben sie damit einen zugemüllten Balkon geräumt, auf dem Tauben hausten. Das Ablassen des Drecks über die Brüstung war leichter als ihn in Säcken durchs Treppenhaus zu tragen. Wohnungen von Unratsammlern, den sogenannten Messies, sind immer wieder Einsatzort von Silvio Korn und seinen Leuten. Manchmal stehen sie hüfthoch im Unrat. Und mittendrin tummeln sich die Schädlinge, die Speckkäfer und die Maden. „Das ist kein Spaß“, sagt Korn. „Aber einer muss es ja machen.“
Über die Autobahn geht es auf Dresden zu. Silvio Korn arbeitet oft in der Landeshauptstadt, aber auch in Freital, Dipps, Altenberg und im Müglitztal. Als er 2005 ausgelernt hatte, musste er noch viel mehr Autobahn fahren. Er hatte bei einem Großunternehmen angeheuert, das europaweit Schädlinge ausmerzte. Die Großen sind bei den Kleinen nicht gut gelitten, werden als „Dosenöffner“ gehänselt, die nur schnell die Präparate ausbringen und wieder verschwinden. Herr Korn freut sich, dass er jetzt zurück ist in Pirna und sein eigener Chef. Er geht auf seine Kundschaft ein. Oft muss er auch ein bisschen Psychologe sein. Mancher Schädling existiert nur in der Fantasie. Vielleicht ein Zeichen für den Zustand der Gesellschaft. Wer viel allein ist, der hat viel Zeit, sich Dinge einzubilden.
Ankunft am Fuße eines Sechsgeschossers. Einbildung ist die Rattenplage hier keineswegs. Die Rabatte neben den Müllbunkern ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Ein Dutzend Ratten lebt hier, oder mehr. Die Tiere kriechen unter den Stahltüren der Containerboxen hindurch und bedienen sich. Doch die Gegenwehr zeigt Wirkung. Ein Nager liegt tot unterm Busch – innerlich verblutet. Silvio Korn knüpft frische Giftpäckchen an Drähte, schiebt sie in die Erdhöhlen. Mitleid? Hat er keins. Selbst wenn er diese Rattenfamilie auslöscht: Womöglich rückt unten, in der Kanalisation, schon die nächste an. „Die werden uns alle überleben.“
Quelle: http://www.sz-online.de/sachsen/klar-zum-gefecht-3900055.html